1. Teil: Berichte aus den Projekten
Zentrale Abschlussprüfungen als Steuerungsinstrument im Schulsystem - Arbeitsmarkteffekte, Wirkungsmechanismen und Effektheterogenitäten
Das Projekt „Zentrale Abschlussprüfungen als Steuerungselement im Schulsystem: Arbeitsmarkteffekte, Wirkungsmechanismen und Effektheterogenitäten“ unter der Leitung von Prof. Dr. Ludger Wößmann und Dr. Guido Schwerdt vom ifo-Institut in München richtet den Blick auf die längerfristigen Folgen bestimmter Steuerungsstrategien im Schulsystem. Konkret geht es um die Analyse möglicher Arbeitsmarkteffekte von zentralen Abschlussprüfungen. Die Analysen basieren auf Daten der Absolventen- und Studentenbefragungen des Hochschul-Informations-Systems (HIS), des Sozio-Ökonomischen-Panels (SOEP) sowie der PISA-E-Studie.
Erste Ergebnisse verweisen auf zum Teil deutliche Unterschiede in den Effekten von zentralen und nicht-zentralen Abschlussprüfungen. Zwar erzielen Personen mit Hochschulreife insgesamt keine höheren Arbeitseinkommen, falls sie ihren Schulabschluss in einem Bundesland mit zentralen Abschlussprüfungen erworben haben, doch sind Abiturnoten, die in Bundesländern mit zentralen Abschlussprüfungen erworben wurden, stärker mit dem späteren Arbeitseinkommen korreliert als Noten aus Nicht-Zentralabiturbundesländern. Dies deutet darauf hin, dass Prüfungsleistungen, die in zentralen Abschlussprüfungen erbracht wurden, ein besseres Signal für die Produktivität auf dem Arbeitsmarkt darstellen.
Personen mit Hauptschulabschluss erzielen hingegen im Durchschnitt um 12 Prozent höhere Arbeitseinkommen, wenn sie ihren Schulabschluss in einem Bundesland mit zentralen Abschlussprüfungen erworben haben. Die Arbeitslosenrate ist sowohl bei Personen mit Hauptschulabschluss als auch bei Personen mit Hochschulreife etwas niedriger (um 3 bzw. 2 Prozentpunkte), wenn der Schulabschluss in einem Bundesland mit zentralen Abschlussprüfungen erworben wurde.
Von zentralen Abschlussprüfungen profitieren aber nicht alle gleichermaßen: Die Einkommenseffekte für Personen mit Hauptschulabschluss sind auf die Gruppe der unter 50-Jährigen begrenzt, die Arbeitslosigkeitseffekte für Personen mit Hochschulreife sind für Frauen zwischen 30 und 65 Jahren am stärksten.
Im weiteren Projektverlauf soll untersucht werden, ob sich auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Geburtskohorte oder der sozioökonomische Hintergrund darauf auswirken, wie stark Schülerinnen und Schüler von einem zentralen Schulabschluss profitieren.
Kontakt: schwerdt@ifo.de
Schulentwicklung unter Bedingungen vielfacher Bildungsrisiken - Fallstudien zu zwei erfolgreichen Schulen mit multikultureller Schülerschaft in benachteiligten Schulen
Im Rahmen der Studie „Bildungsbezogene Integration unter Bedingungen multipler Bildungsrisiken“ untersuchen Jun.-Prof. Dr. Nicolle Pfaff und ihre Mitarbeiter/-innen Bedingungen der erfolgreichen schulischen Arbeit in benachteiligten Quartieren deutscher Großstädte. In zwei Fallstudien zu Einzelschulen werden Interviews und Gruppendiskussionen mit Akteuren an den Untersuchungsschulen und in ihrem Umfeld vor dem Hintergrund sozial- und bildungsstatistischer Daten zu den Untersuchungsregionen dokumentarisch interpretiert. In den Analysebereichen Lehren und Lernen, Schulmanagement und Kooperation werden auf diese Weise förderliche und hinderliche Entwicklungsbedingungen für Schulen in segregierten Stadtteilen herausgearbeitet.
Erste Resultate beziehen sich auf die Frage, welchen besonderen Problemen Schulen in benachteiligten Quartieren gegenüberstehen und welche Strategien des Umgangs mit diesen Problemen sie wählen. So stellt sich für die untersuchten Schulen die Herstellung schulischer und unterrichtlicher Ordnung in zentraler Weise als problematisch dar. Insbesondere abweichendes Schülerverhalten im Bereich der Peerkultur und die Ablehnung von schulischen Verhaltenserwartungen im Kontext von Unterricht und Schulleben stellen die hier arbeitenden Professionellen vor die Herausforderung, ständig aktiv für die für Schule grundlegenden Interaktionsbedingungen eintreten zu müssen. Im Umgang mit deviantem Verhalten Lernender lassen sich an den Untersuchungsschulen verschiedene Praktiken unterscheiden, in denen Regelverletzungen ausgeblendet und tabuisiert, kriminalisiert und geahndet oder im Kontext ihrer individuell-biographischen Bedingtheit gesehen bzw. als Probleme Lernender in Beratungs- und Therapieangebote überführt werden. Aus der Sicht der schulischen Professionellen erweisen sich darüber hinaus besonders zwei Strategien als erfolgreiche Lösungsversuche des Ordnungsproblems der Schulen. Dabei handelt es sich einerseits um die Einbeziehung externer Akteure als Ordnungsstifter in Schule und Unterricht, andererseits um enge Kooperationen auf der Basis definierter Verantwortungsbereiche zwischen unterschiedlichen Professionen in der Schule. Die skizzierten Praktiken des Umgangs sind dabei als Ausdruck spezifischer Schulkulturen zu verstehen, zu denen auch verschiedene Praktiken des Schulmanagements sowie der internen und externen Kooperation zählen.
Weitere Schwerpunkte der Analysearbeit ergeben sich durch die aktuelle Einbindung der Untersuchungsschulen in regionale Schulstrukturreformen, in deren Rahmen an beiden Untersuchungsstandorten integrative Schulformen entstehen und die Schullandschaft durch Schulfusionen neu geordnet wird. In diesem Zusammenhang wird einerseits deutlich, dass die Integration von Bildungsgängen auf der Ebene der Einzelschulen starke Innovationsimpulse setzt. Andererseits zeigen sich Überlagerungen von Strukturreform und Schulfusion, die zunächst Stagnationen im Bereich der Schulentwicklung auslösen. Zielgerichtete Schulentwicklungsprozesse entstehen vor diesem Hintergrund besonders an Schulen, in denen aktuelle Transformationsanforderungen in die Dynamik fortlaufender Entwicklungsprozesse an Einzelschulen integriert werden.
In den kommenden Monaten wird sich das Forschungsteam auf die weitere Ausarbeitung der Analyseschwerpunkte Schulmanagement und Kooperation konzentrieren. Im Hinblick auf eine praktische Verwertung der Befunde soll darüber hinaus ein Entwicklungsleitfaden für Schulen in benachteiligten Stadtteilen erstellt werden.
Kontakt: npfaff@gwdg.de
Schulen als Steuerungsakteure im Bildungssystem (StaBil)
Auch das Verbundprojekt „Schulen als Steuerungsakteure im Bildungssystem“ unter der Leitung von Prof. Dr. Felicitas Thiel und Prof. Dr. Hans Anand Pant untersucht den Umgang von Schulen mit Daten aus interner und externer Evaluation. Erste Ergebnisse einer standardisierten Online-Befragung von Schulleitungen an Berliner und Brandenburger allgemeinbildenden Schulen geben Antworten auf Fragen der schulischen Evaluationsnutzung im Allgemeinen sowie der Nutzung von Evidenz für die Personalentwicklung im Speziellen.
In einem ersten Vorhaben wurde untersucht, ob Daten aus Vergleichsarbeiten, Mittlerem Schulabschluss, Schulinspektion und interner Evaluation in unterschiedlichem Maße schulintern kommuniziert werden und wie das jeweilige Kosten-Nutzen-Verhältnis bewertet wird. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass Daten aus Schulinspektionen schulintern am intensivsten diskutiert werden, am wenigsten wird nach Einschätzung der Schulleitungen über die Ergebnisse aus Vergleichsarbeiten gesprochen. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird für schulinterne Evaluationen am positivsten eingeschätzt. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass Evaluationsdaten insbesondere für die Unterrichts- und Curriculumentwicklung einen hohen Stellenwert haben. Vergleichsweise weniger Bedeutung wird ihnen für die schulische Personalentwicklung zugesprochen.
Laut Selbstauskunft nutzen knapp die Hälfte der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter Evaluationsdaten für Mitarbeitergespräche oder für die Fortbildungsplanung. Rund 60 Prozent der befragten Schulleitungen geben an, regelmäßig (alle ein bis zwei Jahre) Unterrichtsbesuche durchzuführen, und sie verschaffen sich damit selbst einen Eindruck über mögliche Entwicklungsbedarfe. Als Formen der Selbstevaluation und damit mögliche Evidenzquellen für Professionalisierungsmaßnahmen sind insbesondere mündliches Schülerfeedback und parallele Klassenarbeiten in den Kollegien verbreitet. Verschiedene Personalentwicklungs- bzw. Professionalisierungsmaßnahmen (z.B. Unterrichtsbesuche, Mitarbeitergespräche, Fortbildungsplanung) werden aber nicht an allen Schulen in gleichem Maße ergriffen. Die Ergebnisse einer Clusteranalyse verweisen auf fünf unterschiedliche typische Personalentwicklungsstrategien in Schulen. Ob sich diese Strategien im Hinblick auf ihre Wirksamkeit unterscheiden, soll in einem zweiten Schritt untersucht werden.
In den anschließenden Fallstudien werden Aspekte der evidenzbasierten Schul- und Personalentwicklung näher beleuchtet. Durch die Verknüpfung der standardisiert erhobenen Daten mit schulischen Leistungsdaten zu zwei Messzeitpunkten sollen schließlich verschiedene Aspekte der Evaluationsnutzung auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.
Kontakt: k.thillmann@fu-berlin.de
Evidenzbasiertes Handeln im schulischen Mehrebenensystem - Bedingungen, Prozesse und Wirkungen (EviS)
Das Verbundprojekt „Evidenzbasiertes Handeln im schulischen Mehrebenensystem“ unter der Leitung von Prof. Dr. Isabell van Ackeren und Prof. Dr. Olga Zlatkin-Troitschanskaia untersucht Bedingungen, Prozesse und Wirkungen evidenzbasierten Handelns in der Schule.
Auf der Basis einer standardisierten Schulleiter- und Lehrkräftebefragung an Schulen in Rheinland-Pfalz wurde in einem ersten Schritt das Ausmaß der Nutzung potenzieller Evidenzquellen (z.B. Schülerfeedback, schulfachbezogene Zeitschriften, Lernstandserhebungen/Vergleichsarbeiten) für die Ausgestaltung und Entwicklung der schulischen und unterrichtlichen Arbeit rekonstruiert. Die Ergebnisse verweisen auf Unterschiede in der Selbsteinschätzung der beiden Befragtengruppen hinsichtlich der Nutzung verschiedener Informationsquellen. Durch die Schulleitungen wird die Nutzung über fast alle Informationsquellen hinweg höher eingeschätzt als durch die Lehrkräfte, wenn auch bei den Schulleitungen noch „Luft nach oben“ für eine intensivere Nutzung gegeben ist.
Darüber hinaus wurden drei Typen von Informationsquellen unterschieden: externe Informationsquellen, interne Informationsquellen und Zeitschriften. Mit Blick auf das Verhältnis von Rezeption und Nutzung wird deutlich, dass die Ergebnisse aus externen Evaluationen zwar – wenn auch auf insgesamt niedrigem Niveau – von den Lehrkräften rezipiert, jedoch in einem vergleichsweise geringen Maße für ihre eigene Arbeit genutzt werden. Deutlich stärker hingegen werden Daten aus internen, prozessbezogenen Informationsquellen genutzt.
Erste Analysen zum Schulkontext belegen die Bedeutung der Schulform für die Evidenzorientierung: Während in Grundschulen interne Informationsquellen nach Einschätzung der Lehrkräfte am meisten genutzt werden, spielen in Gymnasien Informationen aus Zeitschriften die größte Rolle für die Ausgestaltung und Entwicklung der eigenen Arbeit. Über alle Schulformen hinweg werden Informationen aus externen Quellen am wenigsten genutzt.
Im weiteren Projektverlauf sollen durch den Einsatz komplexerer statistischer Auswertungsverfahren (Mehrebenen‐ und Regressionsanalysen) organisationale und individuelle Einflussfaktoren auf evidenzbasiertes Handeln differenzierter untersucht werden. Zudem ist geplant, mittels Fallstudien an Schulen mit besonders hoher bzw. geringer Evidenzorientierung vertiefende Erkenntnisse über die Bedingungen, Prozesse und Wirkungen evidenzbasierten Handelns zu gewinnen.
Kontakt: christoph.rosenbusch@zq.uni-mainz.de